LUTZ WICHERT TRIO  /  Interview mit Lutz Wichert

 

Anlässlich des 20 jährigen Jubiläums des Lutz Wichert Trios wurde im Jazz Podium  ( Ausgabe Dezember 2005/ Januar 2006 ) der folgende Artikel von Klaus Dieter Zeh veröffentlicht:

Lutz Wichert Trio:  Mit voller "Kanne" in die dritte Dekade

Kernig, knarzig, kantig. Attribute, die seiner Musik verliehen wurden. Man denkt dabei irgendwie an einen alten weitreichend verwurzelten Baum. Ebenso unverwüstlich scheint das Lutz Wichert Trio zu sein.

Mit gerade einmal drei CD-Veröffentlichungen und über Jahre hinweg spärlicher Medienresonanz, hat Wichert mit knorriger Beständigkeit und allen Stürmen und Trockenperioden zum Trotz sein pianoloses Trio, bestehend aus Bass, Schlagzeug und Saxophon, über die Weltmeere geschippert.

Zwanzig Jahre hat es auf dem Buckel. Für ein Jazztrio ein durchaus biblisches Alter. Muss an den wilden, unsteten, nie in sich selbst ruhenden, wirbelnden, umher treibenden, antreibenden, schweißtreibenden, frisch und ewig jung bleibenden Kompositionen Wicherts liegen.

Tatsächlich scheint keiner der drei länger als ein paar Takte bei einem Thema zu verweilen. Die Verrückung, die Überraschung, die der wirbelnde Taumel ist elegant getimt. Schwerstarbeit, und doch klingt alles wie der leichte Schokoriegel, der sogar in Milch schwimmt.

Das Lutz Wichert Trio beleiht die Welt, dringt in jedes musikalische Idiom. Ob Bop, Mainstream, Blues, Latino, Südseerhythmen, Wichert, der Weitgereiste, beherrscht alles. Saxophonist Wichert bläst also auf seiner "Kanne" modernsten Jazz für die Welt. In Alex Morsey, Bass, und Bernd Oezsevim, Schlagzeug und Perkussion, hat er zwei kongeniale Mitstreiter für seinen Turn rund um die Welt geangelt.

"Don´t Accept Cookies", so der aktuelle Silberling des Trios, versammelt die wichtigsten Eindrücke aus Wicherts reichhaltigem Erfahrungsschatz.

20 Jahre "Lutz Wichert Trio", ging dir unterwegs nie die Puste aus?

Im Gegenteil, meine Atemtechnik ist mit den Jahren immer besser geworden. Auch im übertragenen Sinne. Mit der Zeit habe ich die Anforderungen, die die Arbeit als Jazzmusiker mit sich bringt, immer besser meistern gelernt.

In zwanzig Jahren nur drei CDs eingespielt, das ist für eine Jazz Combo nicht gerade viel. Wie kam das?

Nach dem Auftritt 1988 beim Jazzfestival in Münster platzte leider ein Deal mit EMI, danach haben meine finanziellen Möglichkeiten vor 1998 es nicht zugelassen, eine CD zu produzieren. Anschließend hat sich die Zusammenarbeit mit Julius Pischl vom Label Edition Musikat ergeben, was ich als sehr große Unterstützung empfinde.

Wann hast du die Liebe zum Jazz entdeckt?

In den neun Monaten vor meiner Geburt habe ich schon Jazz gehört, da muss es passiert sein.

Du wolltest also schon immer Musiker werden?

Musik machen wollte ich schon immer und hatte zum Glück auch die Möglichkeit dazu.

Auf deinen CDs erklingen ausschließlich Eigenkompositionen. Warst du nie versucht, hin und wieder einen Standard zu interpretieren? So etwas kann beim Publikum ja durchaus als Bewertungsfaktor dienen?

Ganz am Anfang bestand etwa die Hälfte des Trio - Programms aus Fremdkompositionen, die ich aber derart umarrangiert hatte, dass man das Original, wenn überhaupt, nur schwer heraushören konnte. "Jump Monk" von Charles Mingus als "Navajo - rain - dance" mit markerschütterndem Gesang unseres Bassisten und ähnliches. Wir haben auch einmal ein Konzertprogramm mit dem Titel "Mother Monk" gespielt, wobei wir fast ausschließlich Stücke von Thelonius Monk arrangiert hatten. Aber das war eine Ausnahme.

War sicherlich nicht immer leicht, nur mit eigenem Material aufzutauchen?

Es ist manchmal schwierig, Veranstalter, mit denen wir noch nicht zusammengearbeitet haben, davon zu überzeugen, wie viel Spaß das Anhören unserer Musik während eines Konzertes macht und wie begeistert das Publikum ist. Wir bekommen tolle Presse und ein Folgeengagement ist meistens das Ergebnis. Aber manche Veranstalter können sich das anscheinend nur schwer vorstellen.

Gibt es jemanden bestimmten, der dich inspiriert hat, oder ist dieser vertrackt philosophisch kantige Stil ganz und gar eine Lutz-Wichert-Erfindung?

Mich haben so viele MusikerInnen und NichtmusikerInnen inspiriert, dass ich gar nicht weiß, wo ich mit einer Aufzählung beginnen und wo aufhören soll. Mein Stil ist die Summe all meiner Erfahrungen, auch außermusikalischer.

Ihr seid eines der wenigen pianolosen Trios. Hat sich das damals so ergeben oder war es gleich zu Beginn dein konzeptioneller Gedanke?

Es war gleich von Anfang an mein Konzept ohne Piano zu spielen.

Welche Vorteile siehst du darin?

Harmonische Freiheiten.

Welche Nachteile?

Reduzierte Auftrittsmöglichkeiten, weil einige Veranstalter sich dahin gehend äußern, ihr Publikum wolle unbedingt eine Band mit Piano.

Könntest du sagen, deine musikalische Sprache gefunden zu haben?

Für mich ist so etwas wie die musikalische Sprache ein Prozess. Etwas, das sich stetig verändert, wenn auch in manchen Bereichen nur noch minimal. Ich bin gerade erst wieder aus London zurück gekommen und in meinem Notizbuch stehen einige neue Ideen, die sich dort aufgetan haben und meine musikalische Sprache erweitern und damit verändern werden.

Hast du gleich von Anfang an diesen Sound gespielt mit seinen vielen Rhythmus- und Tempowechseln?

Ja, schon immer. Wenn man eine Geschichte kurzweilig erzählen will und nicht über die Möglichkeiten eines größeren Ensembles verfügt, ist beides unerlässlich.

Wann kamen die weltmusikalischen Klänge in deine Musik?

Als ich noch nicht zur Schule ging, brachte mein Onkel aus Namibia und Südafrika Schallplatten mit. Später hatte ich einen Schulfreund, dessen Vater aus Brasilien stammte und Klarinette und Tenorsaxophon spielte. Auch wurde mein musikalischer Horizont durch die Offenheit und das Interesse meiner Eltern für andere Kulturen geprägt.

Afrika scheint auch eine Rolle zu spielen, wenn man einen Blick auf deine Biografie wirft. Was fasziniert dich daran?

Wie du weißt, ist in Afrika Rhythmus in Kombination mit Tanz der vorrangige musikalische Aspekt. Rhythmus und Tanz als gemeinschaftlicher Ausdruck von Lebensfreude. Dafür kann ich mich begeistern.

Inwiefern hat dich die Beschäftigung mit der folkloristischen Musik der verschiedenen Kulturen geprägt?

Für mich ist die Distanz zwischen den einzelnen verschiedenartigen musikalischen Ausdrucksformen geringer geworden. Deshalb gehe ich heute mit einem umfangreicheren Fundus an die Lösung musikalischer Probleme heran. Und es gibt für mich kein richtig oder falsch mehr, sondern etwas gefällt mir oder es sagt mir nicht zu.

Und welche Spuren haben deine New Yorker Jahre in deiner Musik hinterlassen?

Die erste CD "To Everything He Does" haben wir nach der New Yorker Zeit aufgenommen. Joe Kienemann vom Bayerischen Rundfunk sagte damals zu mir, ihm würde diese Produktion so gut gefallen, weil die Musik so unprätentiös sei. Das was andere als kantig und du als knarzig beschreiben, was ich als direkt und ungeschönt bezeichnen würde, habe ich schon immer versucht musikalisch umzusetzen. "Don´t Accept Cookies".

Deine Arrangements sind nicht gerade leichte Kost und verlangen in ihrer Komplexität  sicherlich auch von deinen Triokollegen einiges ab?

Leichte und schwere Kost hält sich die Waage. In jedem Fall bin ich aber sehr froh darüber, dass ich mit zwei fantastischen Musikern kontinuierlich zusammen spielen kann. Mit Alex  Morsey spiele ich im Trio schon seit 12 Jahren zusammen und Bernd Oezsevim, der seit letztem Jahr mit dabei ist, passt musikalisch ganz hervorragend in die Band. Und zu allem Überfluss sind beide noch sehr nette Menschen.

Wie läuft das bei euch - hast du alles aufgeschrieben oder erarbeitet ihr euch die Stücke gemeinsam?

Ich bringe meine ausnotierten Kompositionen mit und wir arbeiten sie gemeinsam durch, verändern oder fügen das eine oder andere hinzu. Häufig ist es auch so, dass ich mit neuen Versionen von einer Komposition zu einer Probe komme, wir sie durchspielen und das, was uns von den verschiedenen Versionen am besten gefällt, letztendlich übernehmen.

Welchen Stellenwert räumst du generell der freien Improvisation ein?

Zunächst muss ich die Schublade "Freie Improvisation" näher definieren, um Missverständnissen vorzubeugen. Für mich ist freie Improvisation nicht gleichbedeutend mit Free Jazz, sondern das Konzept, den Rahmen und die Mittel für meine Improvisation frei auswählen zu können.

Wie wichtig ist sie für dein Trio?

Freie Improvisation entsprechend meiner Definition ist die Grundlage für unsere Musik. Dementsprechend sind Gestaltungsprinzipien der musikalischen Schublade "Free Jazz" gleichberechtigte, gleichermaßen wichtige Gestaltungsmittel im Trio - Kontext, wie alle anderen existierenden Gestaltungsmittel auch.

Kannst du, rückwirkend gesehen, eine Entwicklung deines Trios feststellen?

Ich denke, die Kompositionen sind immer facettenreicher geworden, stilistisch noch abwechslungsreicher. Dadurch ist unser Programm sehr kurzweilig, zum anderen hat die Beliebigkeit in den Improvisationen abgenommen. Die Aussagen sind ständig konkreter und ausdrucksstärker geworden, der Gesamtsound kompakter.